Müdigkeit und Erschöpfung kennt jeder. Doch als Dauerzustand ist damit nicht zu spaßen. Dann kann das Chronische Fatigue Syndrom dahinterstecken.
Ein intensiver Tag bei der Arbeit, ein Terminmarathon, der sich durch die ganze Woche zieht, oder auch ein kleiner Infekt – danach fühlen sich wohl die meisten Menschen schlapp, ausgelaugt und einfach erschöpft. Doch das geht vorbei. Normalerweise. Hält der Erschöpfungszustand aber dauerhaft an und kommen weitere Symptome hinzu, kann das zum Problem werden. Möglicherweise handelt es sich um das Chronische Fatigue Syndrom (CFS), auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt. Dabei geht es um mehr als um Erschöpfung oder Müdigkeit, wie man beim Wort Fatigue (französisch für Müdigkeit, Erschöpfung) vielleicht zunächst erwarten würde. Es handelt sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, erklärt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Schon 1969 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ME/CFS als neurologische Erkrankung eingestuft. Circa 17 Millionen Menschen sind weltweit davon betroffen, in Deutschland sind es um die 250.000. Damit zählt ME/CFS nicht zu den seltenen Erkrankungen und ist etwa genauso häufig wie Multiple Sklerose (MS).
Viele starke Symptome
Das Problem: ME/CFS sei nicht fester Bestandteil der ärztlichen Ausbildung, heißt es von Seiten der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS. Entsprechend wird nicht immer erkannt, dass diese Krankheit hinter den Symptomen steckt, die Patienten beschreiben. Fälschlicherweise werde die Krankheit oft als psychosomatisch eingestuft. Die Symptome von ME/CFS sind vielfältig. Das Hauptsymptom ist die Post-Exertional Malaise (PEM). Dabei handelt es sich um eine belastungsinduzierte Symptomverschlechterung: Der Zustand der Patienten verschlechtert sich schon bei geringer körperlicher oder kognitiver Belastung. „Bei mildem Verlauf der Krankheit kann dann beispielsweise das Einkaufengehen PEM auslösen. Bei schwerem Verlauf kann selbst das Umdrehen im Bett zu einem ‚Crash‘ führen“, so die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Charakteristisch ist, dass dieser ‚Crash‘, wie das Symptom PEM auch genannt wird, oft zeitverzögert bis zu 48 Stunden nach der Belastung auftritt. Patienten fällt es daher schwer, die Zustandsverschlechterung in einen Zusammenhang mit der Überlastung zu bringen. Weitere Symptome können neurokognitiver Art sein. Dazu zählen ein sogenannter Brain-Fog (deutsch: Hirn-Nebel), sprich Merkprobleme oder Wortfindungsschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Schlafstörungen und Herzrasen sowie eine orthostatische Intoleranz – Kreislaufprobleme – und immunologische Symptome wie Halsschmerzen oder geschwollene Lymphknoten. ME/CFS gehe zudem oftmals mit erhöhter Infektanfälligkeit einher, so die Experten.
Es gibt klare Diagnose-Kriterien
Ein Infekt ist demnach auch in rund 80 Prozent der Fälle der Auslöser von ME/CFS. So kann ME/CFS unmittelbar oder um einige Wochen verzögert nach einer Infektion beginnen. Andere Faktoren können Unfälle oder schwere emotionale Traumata sein. Auch eine Covid-19-Erkrankung steht derzeit im Verdacht, ME/CFS auslösen zu können. Bereits der US-Amerikanische Immunologe Anthony Fauci hatte im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass Corona vermutlich ein Chronisches Fatigue Syndrom auslösen könne. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Medizinerin an der Berliner Charité, konnte in kleineren Studien bereits zeigen, dass eine Corona-Infektion bei einigen Patientinnen und Patienten ME/CFS ausgelöst hat. Dabei ist ME/CFS von postviraler Fatigue, die in der Regel nach einigen Monaten wieder abklingt, zu unterscheiden. Erst wenn die Fatigue über sechs Monate anhält und weitere Symptome, insbesondere PEM dazukommen, wird die Diagnose ME/CFS gestellt. Etablierte Diagnosekriterien sind die Kanadischen oder Internationalen Konsenskriterien, die detailliert den immunologischen und neurologischen Symptomen auf den Grund gehen. Auch andere Krankheiten mit ähnlicher Symptomatik sollten in der Diagnose ausgeschlossen werden. Einen eindeutigen Biomarker, wie etwa Daten aus dem Blutbild, gibt es noch nicht. ME/CFS lässt sich trotzdem eindeutig diagnostizieren, vorausgesetzt man ist mit dem Krankheitsbild vertraut.
So kann ein wenig Linderung eintreten
Eine heilende Behandlungsmöglichkeit der Krankheit, die vor allem im Alter zwischen 10 und 19 sowie 30 und 39 gehäuft auftritt, gibt es noch nicht. Während man bei einer chronischen Fatigue – beispielsweise als Begleitsymptom einer Krebserkrankung – eine Bewegungstherapie anrät, sei dies im Fall der Krankheit ME/CFS kontraproduktiv. „Denn genau das kann ja dann zu einem ‚Crash‘ führen“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Das sogenannte „Pacing“ sollte hingegen Bestandteil der Behandlung sein. Das bedeutet, dass sich Patienten nur innerhalb ihrer Leistungsgrenzen bewegen, und lernen, PEM zu vermeiden. Zusätzlich können Ärzte die Symptome von ME/CFS, wie Schmerzen oder orthostatische Intoleranz behandeln und den Patienten so Linderung verschaffen.
Lebensqualität leidet
Studien zufolge gehört die Krankheit zu jenen, die das Leben am stärksten einschränken. Schwere Verläufe können dazu führen, dass man nicht mehr in der Lage ist, die eigenen vier Wände zu verlassen, und bettlägerig, pflegebedürftig und arbeitsunfähig werden kann. „Mehr als die Hälfte der Betroffenen ist nicht mehr in der Lage, zu arbeiten“, betonen die Experten der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS den Ernst der Krankheit. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer, was an andere Autoimmunkrankheiten wie MS oder Rheuma erinnere. Es ist viel Forschung nötig, um mehr über die Krankheit zu erfahren und sie vielleicht irgendwann heilen zu können.