Entzündetes Zahnfleisch oder auch Zahnfleischbluten kennen wohl die meisten Menschen. Was die wenigsten wissen: Letzteres kann auf Parodontitis hinweisen. Parodontitis ist eine bakterielle Entzündung, die den Zahnhalteapparat – also das Gewebe, das die Zähne im Kiefer verankert – betrifft. Schädliche Bakterien können das Gewebe rund um den Zahn angreifen – darunter den Kieferknochen, das Zahnfleisch und die Fasern, die den Zahn im Knochen verankern.1
Zwei Parodontitis-Expertinnen im Interview
Die 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie2 zeigt, dass Parodontitis in der Bevölkerung weit verbreitet ist. Warum man die Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, wie man ihr vorbeugen kann und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, haben uns die Zahnärztinnen Prof. Bernadette Pretzl und Dr. Sonja Sälzer erklärt. Sie sind beide im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro).
Parodontitis wird inzwischen als Volkskrankheit bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Prof. Bernadette Pretzl: Ja, insgesamt sind mehr als 14 Millionen Menschen in Deutschland von einer schweren Parodontitis betroffen. Deshalb ist es vollkommen richtig, Parodontitis als Volkskrankheit zu bezeichnen. Die Erkrankung hat auch Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit, etwa auf Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und obstruktive Lungenerkrankungen.
Woran kann man Parodontitis erkennen?
Dr. Sonja Sälzer: Für Laien ist das tatsächlich nicht so leicht zu erkennen, weil Parodontitis meistens nicht schmerzhaft ist. Ein wichtiges Merkmal ist Zahnfleischbluten, besonders beim Reinigen der Zwischenräume. Auch schlechter Geschmack im Mund oder Mundgeruch können Anzeichen sein, wobei man sich daran leider gewöhnt und ihn selbst oft nicht mehr wahrnimmt. Ein spätes Merkmal ist Zahnlockerung.
Was sind die wichtigsten Risikofaktoren für Parodontitis?
Dr. Sälzer: Parodontitis ist eine multifaktorielle Erkrankung, das bedeutet: Zahlreiche Faktoren kommen zusammen. Neben familiärer Häufung sind Rauchen und nicht eingestellter Diabetes sowie bakteriellen Beläge rund um die Zähne Risikofaktoren. Auch Stress kann einen Krankheitsschub verursachen. Wer selbst schwer erkrankt ist, sollte seine Kinder frühzeitig regelmäßig untersuchen lassen. Je früher behandelt wird, desto besser.
Prof. Pretzl: Ein ganz zentraler Punkt ist auch die Mundhygiene. Viele haben sich beim Zähneputzen Techniken angewöhnt, die nicht optimal sind. Es ist wichtig, eine gute Systematik zu erlernen und Hilfsmittel zur Zwischenraumreinigung zu nutzen. Auch wenn nicht alle eine Parodontitis bekommen, eine Gingivitis, also eine Zahnfleischentzündung, durch mangelhafte Mundhygiene ist sehr häufig und belastet das Immunsystem.
Wie sieht eine gute Mundhygiene aus?
Dr. Sälzer: Die Mundhygiene muss im Laufe des Lebens immer wieder angepasst werden, weil sich die Gebisssituation verändert. Besonders wichtig ist die Systematik: Es gilt, konzentriert Zahn für Zahn und besonders die Zahnzwischenräume zu reinigen. Ob Hand- oder elektrische Zahnbürste, ist weniger entscheidend und hängt von den Vorlieben und der Geschicklichkeit der Patienten ab. Mit der elektrischen Zahnbürste ist es oft etwas einfacher, aber beides funktioniert gut, wenn die Technik stimmt.
Wie sinnvoll sind Mundspülungen?
Prof. Pretzl: Entscheidend ist die mechanische Entfernung der Beläge. Diese lassen sich nicht abspülen, sondern müssen mit Bürste und Hilfsmitteln entfernt werden. Mundspülungen können eine sinnvolle Ergänzung sein, etwa wenn die mechanische Reinigung zeitweise nur eingeschränkt möglich ist, zum Beispiel nach einer Verletzung oder einem Eingriff. Aber das A und O bleibt die mechanische Reinigung.
Warum fällt bei vielen Menschen die Reinigung der Zahnzwischenräume unter den Tisch?
Dr. Sälzer: Viele Menschen vernachlässigen die Zahnzwischenraumreinigung, weil es Zeit kostet. Es ist aber nicht nur wichtig, dass man es macht, sondern auch, dass man die richtigen Hilfsmittel verwendet – dafür gibt es verschiedene Produkte für unterschiedliche Situationen. Sie bringen nur etwas, wenn sie korrekt eingesetzt werden. Prinzipiell sind Interdentalraumbürsten zu bevorzugen, deren Größe so gewählt werden sollte, dass sie mit leichtem Druck ohne zu verbiegen in den Zwischenraum eingeführt werden können. Sind die Zwischenräume zu eng, wird Zahnseide empfohlen. Kommt ein Anwender mit diesen Hilfsmitteln nicht zurecht, kann auch eine Munddusche zu einer Verbesserung von Zahnfleischentzündungen führen.
Welche Folgen hat eine unbehandelte Parodontitis?
Prof. Pretzl: Unbehandelt führt Parodontitis über kurz oder lang zum Zahnverlust. Auch nach einer Therapie kann Zahnverlust eintreten, wenn die Nachsorge nicht eingehalten wird. Die Entzündungslast im Mund kann sehr hoch sein, auch wenn keine Schmerzen auftreten. Wie eingangs erwähnt, gibt es Wechselwirkungen mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, Rheuma und Schwangerschaft.
Wie sieht die moderne Therapie einer Parodontitis aus?
Prof Pretzl: Parodontitis ist eine chronische Erkrankung, die oft schon mehrere Jahre besteht. Die Behandlung beginnt mit einer nicht-chirurgischen, minimal-invasiven Reinigung der Wurzeloberflächen unterhalb des Zahnfleisches. Sehr wichtig ist die Aufklärung der Patienten über die Entstehung der Parodontitis und die richtige häusliche Mundhygiene. Nach der Tiefenreinigung folgt eine Heilungsphase, dann wird nach drei bis sechs Monaten erneut die parodontale Situation beurteilt. In der Regel ist das Zahnfleisch dann deutlich straffer und entzündungsfreier. Ziel ist es, die Zahnfleischtaschen möglichst flach zu bekommen, also mit einer Tiefe von maximal 4 bis 5 Millimeter. Bei Bedarf können weitere Maßnahmen wie lokale Antibiotika oder – selten – chirurgische Eingriffe folgen. Wichtig ist die lebenslange Nachsorge mit regelmäßigen, befundorientierten Reinigungen.
Kann Parodontitis wieder verschwinden?
Dr. Sälzer: Das Ziel ist in der Regel die Stabilisierung. In einigen Fällen kann Gewebe sogar regenerieren, meist aber geht es um das Halten des erreichten Zustands.
Was denken Sie: Warum wird Parodontitis in der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt?
Prof. Pretzl: Es ist noch zu wenig bekannt, wie hoch die Entzündungslast bei Gingivitis und Parodontitis im Mund ist. Wir haben als Gesellschaft große Erfolge bei der Kariesprophylaxe erzielt, aber bei Parodontitis ist noch viel Aufklärung nötig. Der parodontale Screening-Index, der alle zwei Jahre von der Kasse übernommen wird, ist ein wichtiges Element. Und auch die neue parodontale Richtlinie, die seit Juli 2021 gilt, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es besteht noch immer die Herausforderung, dass viele Menschen zu spät zum Zahnarzt gehen, weil Parodontitis meist nicht schmerzhaft ist. Sorgen bereitet mir aufgrund der bekannten Wechselwirkungen die steigende Prävalenz von Diabetes in Deutschland – vor diesem Hintergrund ist Prävention und Aufklärung wichtiger denn je. Auch der hohe Zuckerkonsum hierzulande ist bedenklich, denn alle Bakterien lieben Zucker. Hier haben wir noch viel Arbeit vor uns als Gesellschaft.
Frau Prof. Pretzl, Frau Dr. Sälzer – vielen Dank für das Gespräch.