Mit Baden verbinden die meisten Menschen entspanntes Vergnügen im Wasser. Doch auch in den Wald kann man eintauchen, Entspannung finden und etwas für das eigene Wohlbefinden tun.
Raschelndes Laub, Naturgeräusche, zwitschernde Vögel und hier und da knistern abgebrochene Zweige. Der Wald. Buchen, Eichen, Fichten oder andere Bäume strahlen eine gewisse Kraft aus. Nimmt man sich die Zeit und den Wald einmal mit all seinen Sinnen wahr, dann hat das viele positive Effekte. Das ist das Ziel des Waldbadens. Nein, kein kleiner See, in den man eintaucht, Badekleidung wird nicht benötigt. Nur die eigenen Sinne, die reichen. Geprägt wurde der Begriff „Shinrin Yoku“ (Waldbad) 1982 von der japanischen Forstbehörde. Eigene Heilwälder wurden kreiert, erste Untersuchungen im Wald wurden in den 90er-Jahren durchgeführt, seit 2004 werden die gesundheitlichen Effekte des Waldes wissenschaftlich erforscht.
Eintauchen in Waldatmosphäre
Annette Bernjus ist eine Expertin, wenn es darum geht, in den Wald einzutauchen. Die 59-Jährige aus Hofheim am Taunus ist Waldbademeisterin. Oder anders: Trainerin für Waldbaden. 2016 hat sie das erste Mal vom Begriff „Shinrin Yoku“ gehört. Mittlerweile gibt sie Waldbade-Kurse und bildet zudem angehende Trainerinnen und Trainer aus. „Das hat damals eigentlich mit einem kleinen Bericht angefangen und dann 2017 so richtig Fahrt aufgenommen“, sagt sie. Doch was erwartet Teilnehmer in einem Kurs übers Waldbaden? „Wir tauchen in die Waldatmosphäre ein. Es ist vielmehr ein Sein als ein einfaches Durchlaufen.“ Vor allem gehe es darum, alle Sinne zu schärfen und zu entschleunigen. Beim zwei- bis dreistündigen Schlendern durch den Wald schaltet man ab. „Zwischenzeitlich machen wir dann Atemübungen, ruhige Bewegungsübungen und auch Entspannungsübungen für die Augen. Viele Menschen starren den ganzen Tag auf einen Bildschirm. Da wird der Sehsinn schon angegriffen“, erklärt Bernjus. Beim Waldbaden gibt es keine Überforderung. Es gehe darum, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ohne komplizierte Erklärungen einfache Übungen durchführen und so ihren Stress ablegen können.
Der Wald und seine Wirkung
Dass das Bad im Wald gesundheitliche Vorteile bringt, zeigen mehrere Studien. Der Blutdruck und Blutzucker sinken und auch das Stresshormon Cortisol nimmt ab. Aus einer Studie von Qing Li aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass der Waldaufenthalt das Immunsystem stärkt. Demzufolge scheint sich der Waldbesuch positiv auf die Aktivität natürlicher Killerzellen auszuwirken. Ebenso soll das Hormon Dehydroepiandrosteron (DHEA) zunehmen. DHEA ist ein Steroid, es schützt unser Herz und die Gefäße und wird auch als „Jungbrunnenhormon“ bezeichnet. Mit zunehmendem Alter und Stress wird es abgebaut. Ohne Überforderung können also viele positive Effekte erzielt werden, meint Bernjus. Auch das Einatmen von Pflanzenstoffen, die von den Bäumen abgeben werden – sogenannte Terpene – hat laut Qing Li positive Effekte auf das Immunsystem. Inwiefern einzelne Komponenten tatsächlich einen kausalen Zusammenhang haben, dafür steckt die Waldwissenschaft aber noch zu sehr in den Kinderschuhen. Die Ruhe des Waldes, die Aufhellung der Stimmung, all das greift ineinander.
Zurück zu den Wurzeln
Bernjus weiß, dass Waldbaden oftmals auch einen esoterischen Bäume-umarmen-Touch hat. Allein das ist es nun nicht. Aber es schließt das Umarmen oder zumindest Berühren von Bäumen auch nicht aus. Auch in ihren Kursen gibt es eine „Solo-Zeit“, in der die Teilnehmer die Kraft der Bäume durchaus spüren können. Sich anlehnen, den Rücken also gestärkt bekommen, das kann schon reichen. „Das Umarmen ist kein Muss, aber kann natürlich gern gemacht werden. So spürt man auch die Kraft, die von ihnen ausgeht.“ Letztendlich ginge es auch darum, wieder zurück zu den eigenen Wurzeln zu kommen. Erde in die Hand nehmen, barfuß über den Waldboden zu laufen. „Den Wald begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt Bernjus. „Eben auch das, was wir als Kinder eigentlich immer gemacht haben, ohne Scheu“ – Glücksgefühle inklusive.
Ruhe im Alltag finden
Die Erfahrungen aus dem Wald können auch in den Alltag integriert werden. Ein Wald muss dafür nicht unbedingt in der Nähe liegen. „Da reicht auch vielleicht der eigene Garten oder der naheliegende Park.“ Klar, die Ablenkungspotenziale, etwa durch Straßenverkehr, sind sicherlich höher. „Dann kann man aber versuchen, die Aufmerksamkeit auf die Natur zu lenken und die Geräusche auszublenden. Das geht dann also auch ein bisschen in die Richtung Achtsamkeit.“ Etwa für die Gestaltung einer Mittagspause sei dies eine gute Möglichkeit.