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Was ist das Iliosacralgelenk?

Group 11 6 min Lesezeit   |   06.12.2023

Bitte beachten Sie, dass sich die Aktualität der Inhalte immer auf das Veröffentlichungsdatum bezieht.

Group 20

Autor

Magnus Horn
Iliosakralgelenk | VIACTIV Krankenkasse

Was ist das Iliosacralgelenk?

Group 11 6 min Lesezeit   |   06.12.2023

Bitte beachten Sie, dass sich die Aktualität der Inhalte immer auf das Veröffentlichungsdatum bezieht.

Iliosakralgelenk | VIACTIV Krankenkasse
Group 20

Autor

Magnus Horn

Es schmerzt im unteren Rücken? Die Angst vor einem Bandscheibenvorfall ist groß? Es könnte jedoch auch etwas anderes dahinter stecken.

Rückenschmerzen sind keine Seltenheit. Viele Menschen haben regelmäßig Beschwerden. Laut dem Statistikportal Statista ist es sogar fast jeder dritte Erwachsene, der öfter oder ständig Rückenbeschwerden hat.1 Diese seien auch einer der häufigsten Gründe für Krankschreibungen bei der Arbeit.2 Der Rücken ist mit seiner Wirbelsäule im Wortsinn die tragende Säule des Körpers. Probleme hier können darum auch Auswirkungen an anderen Stellen bedeuten. Ein wichtiger Knotenpunkt ist dabei das Iliosacralgelenk, das sich zwischen dem Becken und dem Kreuzbein befindet, wie Tobias Pantförder lokalisiert. Schmerzt es oder ist es blockiert, dann spricht man auch von ISG-Syndrom. Der Orthopäde aus Datteln beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen rund um das Gelenk.

Herr Pantförder, worin liegen die Ursachen für ein ISG-Syndrom?

Tobias Pantförder: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Beckenfehlstellungen oder -funktionsstörungen der Kategorie eins bis drei zum Beispiel. Eins steht dabei für eine sogenannte Beckenverwringung, zwei für Sakroiliakalgelenksdysfunktion und drei für die Dysfunktion des Überganges von der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein. Es können aber auch Bewegungsstörungen des Kreuzbeins durch muskuläre Dysbalancen sein – unter anderem auch bei manchen sportlichen Aktivitäten mit einseitigen Kraftbewegungen wie Schießen oder Werfen – oder nach Stürzen zum Beispiel auf das Steißbein. Andererseits können aber auch Funktionsstörungen an anderen Körperregionen der Grund sein, die über Verkettungssyndrome negativen Einfluss auf das ISG haben. Zum Beispiel kann eine Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora), eine Irritation der Kopfgelenke (Übergang Schädel und obere Halswirbelsäule) oder sonstige versteckte, chronische Verletzungsmuster (z. B. Narben, vergangene Umknicktraumata, Zahnstörfelder etc.) unter anderem Beschwerden im Bereich des ISG auslösen. Hier gilt es dann häufig, an anderen Körperarealen und mit anderen Therapiemethoden zu behandeln, um die Schmerzen im ISG Bereich und Rücken zu lindern bzw. zu beseitigen.

Machen sich die Beschwerden dann nur im Iliosakralgelenk bemerkbar?

Pantförder: Nein, die Beschwerden können dort, aber auch teils beidseitig ausstrahlend in die Gesäßhälften, Leisten und Füße auftreten.

Gibt es weitere auslösende Faktoren?

Pantförder: Auch entzündlich-rheumatische Erkrankungen wie der Morbus Bechterew zählen zu den Risikofaktoren. Außerdem können verschleißbedingte Veränderungen zu Problemen führen. Aber auch mitochondriale Dysfunktionen (die „Kraftwerke“ in unseren Zellen) können zu Beschwerden/Instabilitäten im Bereich der Iliosakralgelenke führen. Und wie zuvor bereits erwähnt gibt es zahlreiche andere Ursachen, so dass die Beschwerden nicht selten multifaktoriell bedingt sind.

Welche Symptome sind typisch für ein ISG-Syndrom?

Pantförder: Die schon genannten Schmerzen im Kreuzdarmbeingelenk am unteren Rücken, die auch in den Gesäßbereich und die Leiste und im Bein bis zum Fuß ausstrahlen können.

Diese Symptome können dann sogar einen Bandscheibenvorfall vortäuschen, weil sie denen eines Bandscheibenvorfalles sehr ähneln.

Tobias Pantförder

Orthopäde

Auch funktionelle Beinlängendifferenzen können durch ISG-Blockierungen verursacht werden. Sie gleichen sich zum Beispiel nach Behandlung der Iliosakralgelenke wieder an. Abhängig von den Ursachen kann der Verlauf relativ rasch spontan rückläufig sein, aber auch sehr hartnäckig und langwierig werden. Sollte nach drei bis vier Behandlungen keine wesentliche Besserung erzielt werden bzw. es rezidivierend immer wieder zu Beschwerden kommen, ist es unbedingt sinnvoll, nach anderen ursächlichen Faktoren auf biochemischer, struktureller, aber auch emotionaler Ebene zu suchen.

Kann man beziffern, wie oft das ISG-Syndrom auftritt?

Pantförder: Nein, dazu gibt es keine sicheren Angaben. Bei jedem Kreuz- oder Beinschmerz gehört jedoch die klinische Funktionsuntersuchung des ISG zur orthopädischen Standarduntersuchung, da in sehr vielen Fällen das Gelenk – unabhängig ob Ursache oder Folge einer Fehlbelastung – mitbeteiligt und funktionsgestört ist.

Wie genau sieht denn die Diagnostik aus?

Pantförder: Wegen der sehr vielen unterschiedlichen Ursachen für das ISG-Syndrom ist auch die Diagnostik des Syndroms vielfältig. An erster Stelle steht immer die Patientenbefragung: Wann, wie und wo sind die Beschwerden? Gab es einen Sturz? Gibt es Rheuma oder Morbus Bechterew in der Familie? Dazu wird körperlich untersucht, der Patient wird durch den Arzt oder die Ärztin abgetastet und sogenannte funktionelle Provokationstests werden durchgeführt. Dabei wird zum Beispiel Druck oder Zug auf das Iliosakralgelenk ausgeübt. Aber auch an gänzlich anderen Körperregionen, den sogenannten Schlüsselregionen wie Schädelnähte, Kopfgelenke/Atlas, Kiefergelenke, Darm, Wadenbeinköpfchen und Sprunggelenk/Füße, sollten Therapeutinnen und Therapeuten oder auch Ärztinnen und Ärzte zu Beginn nachschauen und sich grob einen Überblick verschaffen.

Wird auch geröntgt?

Pantförder: Ja, an die vorangegangenen Untersuchungen werden unter Umständen bildgebende Verfahren, wie Röntgen oder eine MRT angeschlossen. Außerdem laborchemische Befunde, also Blutuntersuchungen zur Erhebung von Entzündungswerten und spezieller „Rheumawerte“ und/oder Hinweise auf stille Entzündungen („Silent Inflammation“). Zusätzliche neurologische Untersuchungen und bildgebende Verfahren der Lendenwirbelsäule können in nicht eindeutigen Fällen hilfreich sein, um andere Diagnosen wie beispielsweise einen Bandscheibenvorfall auszuschließen, allerdings erst, wenn die zuvor erhobenen Befunde die Schmerzen nicht hinreichend erklären.

Das klingt so, als seien auch die Therapiemaßnahmen überaus vielfältig…

Pantförder: ISG-Beschwerden können erfolgreich manualmedizinisch, also mit den Händen, lokal behandelt werden oder aber auch über die NIT (Neuroceptor Impuls Technique) mit einem CAT (Chiropractic Activator Tool) oder mittels osteopathischer Verfahren. Anschließend sollte unter Umständen ein individuelles Dehn- und Kräftigungsprogramm in Eigenregie fortgeführt werden. Dies ist meist auch eine erfolgreiche Vorbeugung gegen erneute Beschwerden. Ergänzend können kurzfristig lokale Injektionen in das Gelenk erfolgen oder Schmerzmedikamente verabreicht werden, um für einige Tage Besserung zu bringen, auch die Triggerpunkte im Bereich der Beckenmuskulatur und der Bänder zwischen Becken und Wirbelsäule sowie Becken und Kreuzbein sollten berücksichtigt und behandelt werden. Ein großer Teil der Beschwerden hat seine Ursache jedoch an anderen Körperregionen, sodass bei therapieresistenten Beschwerden weiter und aufwendiger untersucht und diagnostiziert werden muss. In solchen Fällen kann zum Beispiel eine IRT-Behandlung (Injury Recall Technique) oder auch „Darmsanierung“ erfolgreich sein und den Körper bei der Heilung unterstützen. Denn all unsere medizinischen Therapien sind ja letztendlich „nur“ Behandlungen, „heilen“ muss und macht der Körper dann immer selbständig. Unsere Aufgabe ist es, Stressoren von außen zu reduzieren und die innere Resilienz, die innere Widerstandskraft zu stärken, um den Weg zur Heilung frei zu machen.

Was wird in diesen Fällen untersucht?

Pantförder: Wie oben bereits erwähnt, können dann auch Behandlungen von zum Beispiel Biss- oder Fußfehlstellungen notwendig sein. Aber auch der Darm ist häufig ursächlich mitbeteiligt oder aber andere chronische Verletzungsmuster. Diese müssen zunächst gefunden und dann therapiert werden, z. B. an Muskeln, Wirbeln, Reflex-, Lymph- und Akupunkturpunkten, um die lokalen Schmerzen im ISG-Bereich zu beseitigen. Bei entzündlichen Ursachen wie dem Morbus Bechterew hilft derzeit meist nur eine medikamentöse Therapie, um Entzündungsschübe zu vermeiden und ein Voranschreiten zu verzögern beziehungsweise möglichst aufzuhalten. Hier ist häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Rheumatologie sinnvoll und hilfreich. Zusätzlich sollte nach einer Silent Inflammation (stillen Entzündungen) gesucht werden. Eine operative Therapie kann in einigen, sehr seltenen Fällen laut Literatur in Erwägung gezogen werden. Aus meiner über 20-jährigen Klinik- und Praxistätigkeit ist mir persönlich aber kein einziger operativer Fall bekannt.

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