Ute Simon ist Mental-Coach und beschäftigt sich mit dem Umgang und den Vorteilen der richtigen Atmung. Als Buchautorin gibt sie außerdem Hilfestellungen und weiß, wie sehr die Atmung den Alltag beeinflussen kann. In unserem Interview beantwortet sie die wichtigsten Fragen zu einer guten Atemtechnik.
Frau Simon, was sind Atemtechniken und warum sind sie wichtig?
Ute Simon: Vielleicht würde man zum Einstieg besser Atemgewohnheiten statt Atemtechniken sagen, denn so, wie wir atmen, haben wir es uns im Laufe unseres Lebens angewöhnt. Auf die Welt kommen wir alle, sofern gesund, mit der Bauch- oder auch Zwerchfellatmung. Erst im Laufe des Leben – und zwar meist schon ab der Einschulung – gewöhnen wir uns „falsches“ Atmen an. Wie beispielsweise das schnelle, flache Atmen, was nur über den Brustkorb geht und besonders die sogenannte Überatmung, wenn wir nur durch den Mund atmen. Um zurück auf die Atemtechniken zu kommen: Das sind Atemübungen, die man in verschiedenen Situationen einsetzen kann, wie beispielsweise, wenn man sehr aufgeregt ist oder wenn man sein Monkey Mind wieder im Kopf hat und sich nicht konzentrieren kann. Weitere Einsatzgebiete könnten sein, einfach mal zur Ruhe zu kommen oder Energie zu tanken. Einen ganz besonderen Stellenwert haben sie jedoch für unsere Gesundheit. Durch „richtiges Atmen“ können wir sehr viel gesundheitliche Prophylaxe betreiben, vorhandene Beschwerden verringern oder sogar erreichen, dass sie ganz verschwinden. Zum Beispiel Bluthochdruck, Asthma, Allergien, Stresssymptome, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Burnout.
Burnout ist ein Stichwort: Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen der richtigen Atmung und weniger Stress im Alltag?
Simon: Dort sehe ich einen ganz großen Zusammenhang. Richtiges Atmen ist Stressmanagement pur.
Wie lassen sich Atemtechniken am besten in den Alltag integrieren?
Simon: Grundsätzlich am besten „by the way “. Da es aber, wie gesagt, Gewohnheiten sind, gilt es erst einmal, sich die neuen Techniken anzugewöhnen. Und mit den Gewohnheiten ist es so, dass es nicht mit einmal üben schon sitzt. In Stresssituationen, in denen wir das „richtige Atmen“ später eigentlich einsetzen wollen, fallen wir nämlich meist in ursprüngliche Muster zurück. Daher gilt es, die neuen Techniken zu trainieren, trainieren und trainieren – am besten in Situationen, in denen es einem gut geht. So wird die neue Gewohnheit zu einer alten Gewohnheit und funktioniert wie selbstverständlich, wenn man in eine Stresssituation gerät.
Wie kann man das Training am besten in seinen Alltag integrieren?
Simon: Bewährt hat sich, die neue Gewohnheit mit etwas zu kombinieren, was man sowie schon regelmäßig macht, beispielsweise wenn ich einen Schluck Kaffee möchte, vorher drei ruhige Atemzüge machen, oder bevor ich den Fernseher anschalte, drei ruhige Atemzüge machen. Das ist die sogenannte Ankertechnik und mit der hat man dann Altbewährtes oder Unbewusstes mit dem Neuen verbunden. So muss man für die neue Gewohnheit nicht einen extra Zeitraum schaffen.
Kann man beim bewussten Atmen etwas falsch machen?
Simon: Wenn falsch machen bedeutet, dass etwas passiert, dann lautet die Antwort Nein. Wenn falsch machen bedeutet, kontraproduktiv für meinen Körper, meine Gesundheit zu handeln, dann lautet die Antwort Ja. Bei meinen Ausführungen, die ich zum Beispiel in meinem Buch „Just breathe – Toolbox“ zeige, kann man nichts falsch machen. Zum einen ist darin beschrieben, wie es geht, zum anderen ist bei jeder Übung ein QR-Code dabei, der direkt zu den Anleitungen auf meinen YouTube Kanal führt, und somit zum direkten Mitmachen einlädt. Des Weiteren bekommen wir durch die Achtsamkeit auch immer mehr das Gefühl für das, was uns guttut und was nicht und handeln damit dann für uns – anstatt gegen uns.
Warum ist das Thema Achtsamkeit so wichtig?
Simon: Da wir erst dann, wenn wir achtsam mit uns umgehen, merken, wo etwas in die für uns falsche Richtung läuft. Und erst, wenn wir das entdecken, können wir es verändern. Denn das „falsche Atmen“ ist eine Gewohnheit und eine Gewohnheit läuft unwillkürlich ab. Wir entscheiden uns nicht bewusst dafür, daher müssen wir sie erst entdecken oder wahrnehmen, um dann bewusst in die Veränderung zu gehen. Achtsamkeit führt uns wieder zu uns selbst, zu unseren Bedürfnissen, was gut für uns ist und was nicht. Wieder bei sich selbst anzukommen, bedeutet, wertschätzend mit sich selbst umzugehen und daher auch eine Resilienz für Unerwartetes im Leben aufzubauen.
Was sind die Top 3 Atmungen für den Alltag? Und was bewirken sie?
Simon: Dies sind sicherlich individuelle Atemübungen, je nachdem in welcher Lebenssituation und in welchem Allgemeinzustand ich mich gerade befinde. Allgemein ist als Erstes aber immer die Bauchatmung zu nennen, denn sie ist die Basis für jegliche Atemübungen. Hierbei geht es darum, durch die Nase einzuatmen, der Atem geht dann bis in den Bauch, der Bauch wölbt sich ein wenig nach vorne und beim Ausatmen geht das genau andersherum. Der Bauch geht nach innen und die Luft wird durch die Nase ausgeatmet.
Des Weiteren finde ich die Übung „3 Atemzüge“ sehr hilfreich. Hierbei geht es wie immer um die Bauchatmung. Beim 1. Atemzug geht der Fokus auf die Bauchatmung. Beim 2. Atemzug – wieder die Bauchatmung – geht der Fokus auf den Körper; wo genau fühle ich eine Verspannung, beispielsweise angezogene Schultern, diese kann ich dann bewusst lösen. Und der 3. Atemzug – immer noch die Bauchatmung – dabei geht dann der Fokus auf zum Beispiel das Meeting, das Telefonat, das Projekt, was gerade ansteht und die Frage, was genau ist mir wichtig. Welche Fragen möchte ich stellen, welche Themen möchte ich einbringen. Es geht also darum, sich zu fokussieren, präsent zu sein.
Und als dritte Atmung finde ich persönlich eine Übung aus meinem Buch sehr sinnvoll: „There is a space“. Hierbei geht es darum, in schwierigen Situationen bei sich zu bleiben. Beispielsweise während eines Streitgesprächs, in dem mein Gegenüber meinen Triggerpunkt angesteuert hat. Sie kann dabei helfen, dass ich nicht direkt verbal zurückschlage. Dass ich nun weiß, zwischen Trigger und meiner Antwort ist ein kleiner Zwischenraum, was bedeutet, erst einmal durchzuatmen. Um dann bewusst zu entscheiden, ob ein verbales Zurückschlagen Sinn ergibt oder ob ich das Thema ruhen lasse. Es gibt mir Sicherheit und das Gefühl, „Ich entscheide bewusst“, wie es weiter geht – nicht mein gewohnheitsmäßiges Verhalten von früher.
Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen der richtigen Atmung und weniger Stress im Alltag?
Simon: Dort sehe ich einen ganz großen Zusammenhang. Richtiges Atmen ist schon Stressmanagement pur. Das richtige Atmen hilft, unseren Säure-Basen-Haushalt in Balance zu halten – auch das wiederum sorgt für weniger Stress für den Körper. Und ganz wichtig finde ich, zu wissen, dass ich mit dem Atem bewusst mein vegetatives Nervensystem ansteuern kann, insbesondere den Vagusnerv, der am meisten Einfluss auf unsere Psyche hat. Damit kann ich also gezielt meinen Stress im Alltag „steuern“.